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the Outlaw
| Zuletzt Online: 03.10.2022
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29.08.2022
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    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "die Chronische Phase" geschrieben. 23.09.2022

      31. Einsetzen des verlängerten Rausches
      Die zunehmend beherrschende Rolle des Alkohols und das
      durch das morgendliche Trinken entstandene "Verlangen"
      brechen schließlich den Widerstand des Alkoholikers. Er ist
      jetzt auch am hellen Tag und bisweilen öfters in der Woche
      betrunken. Oft verharrt er mehrere Tage hintereinander in
      diesem Zustand, so dass er dem "verlängerten Rausch"
      unterliegt, bis er völlig unfähig ist (geistig und körperlich),
      noch etwas zu unternehmen.



      32. Bemerkenswerter ethischer Abbau
      Die mit diesen anhaltenden Exzessen verbundene Gleichgültigkeit gegenüber der Umwelt haben bei dem Alkoholiker einen erheblichen ethischen Abbau zur Folge.

      33. Beeinträchtigung des Denkens
      Auch das Denkvermögen weist erhebliche Ausfallerscheinungen auf. Sachliche Überlegungen vermag der Alkoholiker nicht mehr anzustellen, seine Gedanken verfolgen nur noch " krumme Wege".

      34. Alkoholische Psychosen
      Bei vielen Alkoholikern treten in diesem Stadium die ersten
      " alkoholischen Psychosen" auf, das sind durch Alkohol bedingte Geistesstörungen, Halluzinationen, psychosomatische und psychasthenische Reaktionen.

      35. Trinken mit Personen unter Niveau
      Der Verlust der Moral und oft auch der Verlust der eigenen
      sozialen Stellung bewirken häufig, dass der Alkoholiker nach
      dem Motto: "Unter den Blinden ist der Einäugige König" mit
      Personen weit unter seinem Niveau trinkt, oder allgemeiner:
      mit Personen, mit denen er sonst im Leben kaum Kontakt suchen würde.



      36. Zuflucht zu technischen Produkten
      Wenn der Alkoholiker nichts anderes hat oder seine finanziellen Mittel nicht mehr ausreichen, nimmt er zur Befriedigung seiner Gier Zuflucht zu technischen Produkten, wie Kölnisch Wasser oder Haarwasser, Franzbranntwein oder minderwertigem Wermut.

      37. Verlust der Alkoholtoleranz
      Geistige und körperliche Widerstandskraft sind abgebaut,
      der Alkoholiker benötigt keine große Menge mehr, um in
      den Vollrausch zu kommen. Jedoch der Vollrausch wird in
      seiner Wirkung immer kürzer. Das Trinken wird daher immer
      hektischer, der circulus vitiosus rotiert immer schneller.

      38. Undefinierbare Ängste und Zittern

      39. werden Dauererscheinungen
      Anhaltendes Zittern (Tremor), ständige Niedergedrücktheit
      (Depression), Angstzustände (traumatische Neurosen) sind
      in diesem Stadium Symptome beim Alkoholiker, die auftreten,
      sobald in seinem Organismus kein Alkohol mehr vorhanden
      ist. Die ersten prädeliranten Zustände treten auf.
      Diese Zustände versucht der Alkoholiker dann wiederum
      mit Hilfe von Alkohol unter Kontrolle zu bekommen bzw. sie
      damit zu überspielen.

      40. Organische Nervenschädigungen (Polyneuropathie)
      Infolge der chronischen Alkoholintoxikation (Vergiftung)
      treten länger dauernde Schädigungen des peripheren Nervensystems
      auf, die also auch noch nach dem Entzug Störungen
      verursachen: Kribbeln und Taubheitsgefühle (sensibles
      Nervensystem), Greif- und Gangstörungen (motorisches Nervensystem) - vorwiegend in Händen, Armen, Füßen,
      Beinen.

      41. Trinken wird Besessenheit
      Aus der Notwendigkeit heraus, Ängste, Zittern, Hemmungen usw. zu überwinden, sieht der Alkoholiker sich gezwungen, ständig zu trinken. Damit nimmt sein Trinken den Charakter der Besessenheit (Obsession) an.

      42. Unbestimmte religiöse Wünsche
      Da der Alkoholiker für sein Fehlverhalten, das er allmählich
      als solches erkannt hat, immer weniger eine Erklärung findet, gibt er sich dubiosen "religiösen" Vorstellungen hin,
      die sich bis zum " religiösen Wahn" steigern können.

      43. Das Erklär-System versagt
      Aber auch die vorerwähnten "religiösen Vorstellungen und
      Wünsche" vermögen dem Alkoholiker keine Antwort auf sei•
      ne ständige Frage nach dem "Warum" zu geben. Die Erklärungen, die er sich aus seinem eigenen " Erklär-System" gibt, werden so häufig und unbarmherzig der Wirklichkeit
      gegenübergestellt, dass sie vollständig versagen. Er weiß
      sich keine Antwort mehr und gesteht seine Niederlage ein.



      44. Zusammenbrüche
      Als Folge dieser Niederlagen ergeben sich für den Alkoholiker seelische Zusammenbrüche, oft verbunden mit der " alkoholischen Epilepsie". Diese Zusammenbrüche sind oft so
      schwerer Natur, dass die ärztliche Behandlung unbedingt
      notwendig ist. Selbstmordversuche sind in diesem Stadium
      nicht selten.

      45. Alkoholdelirium
      Beim Alkoholiker tritt - meist im Entzug - ein hochgradiger Verwirrtheitszustand auf, mit Wahnideen und schwerer
      motorischer Unruhe (evtl. mit Fieber verbunden; der Ausgang kann tödlich sein). Wird in dieser Stufe (Endstufe) das
      Stadium der Korsakow'schen Erkrankung erreicht, ist die
      Zerstörung der Gehirnzellen irreparabel.

      Korsakow-Syndrom: psychischer Folgezustand nach
      schweren toxischen, infektiösen, traumatischen oder arteriosklerotischen Hirnschädigungen.
      Symptom komplex, der gekennzeichnet ist durch hochgradige
      Störungen der Merkfähigkeit, Aufmerksamkeit, Auffassung
      und Reproduktion sowie Gedächtnisausfälle, die
      durch Erinnerungsfälschungen (Konfabulationen) ersetzt
      werden; daneben zeitliche und örtliche Desorientierung, euphorische, später stumpfe und gleichgültige Stimmungslage,
      Initiativlosigkeit und rasche Ermüdbarkeit.
      Der Alkoholische Korsakow (Korsakow-Psychose) beginnt
      meist mit einem Delirium tremens und ist oft verbunden mit
      der alkoholischen Polyneuropathie (s. Punkt 40).

    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "Kritische Phase" geschrieben. 23.09.2022

      . Unwiderstehliches Verlangen nach mehr Alkohol nach dem ersten Glas(Kontrollverlust)
      Es ist das Stadium erreicht, in dem bei dem Trinker ein unwiderstehliches Verlangen nach mehr Alkohol entsteht,
      sobald eine kleine Menge Alkohol in seinen Körper gelangt ist.
      Dieses Verlangen wird als zwingender Bedarf empfunden und hält gewöhnlich an, bis der Trinker zu betrunken oder zu krank für eine weitere Alkoholaufnahme ist. Dieser alkoholische Exzess, medizinisch Alkoholabusus genannt, braucht nicht durch irgendein persönliches oder psychisch bedingtes Bedürfnis eingeleitet zu werden, sondern kann aus einer
      "harmlose“ gesellschaftliche Gelegenheiten entstehen.
      Der" Kontrollverlust" bedeutet nicht, dass der Trinker immer
      trinken muss, er setzt vielmehr erst während des Trinkens und durch das Trinken ein.
      Der Trinker hat in der konkreten Situation noch immer die
      Entscheidungsfreiheit darüber, ob er trinken will oder nicht.
      Das wird allein durch die freiwilligen abstinenten Perioden
      bewiesen, die oft nach derartigen Exzessen eingehalten werden.
      In diesem Zusammenhang wird oft die Frage erhoben, warum der Trinker nach seinen verhängnisvollen Erfahrungen anlässlich seiner wiederholten Exzesse denn dann immer wieder anfängt zu trinken. Er ist in diesem Stadium bereits
      alkoholabhängig geworden, wenn es ihm auch nicht bewusst ist. Sein Wille in Verbindung mit Alkohol ist mindestens beeinträchtigt, er selbst jedoch glaubt, dass er seine diesbezügliche Willenskraft nur vorübergehend verloren hat und sie daher wiedererlangen kann und muss. Er ist sich jedoch darüber nicht im Klaren, dass in ihm ein Vorgang (Abhängigkeitserkrankung) abgelaufen ist, der es ihm unmöglich macht, seinen Alkoholkonsum über längere Zeiträume hinweg einzuschränken oder zu kontrollieren.

      9. Erklärungen, warum man so trinke
      (Alkoholausreden, Alibis)
      Mit dem Einsetzen des Kontrollverlustes beginnt der Alkoholiker
      sein Trinkverhalten zu erklären und schafft sich
      durch " Alkoholausreden" Alibis, d.h. Erklärungen, die ihn
      selbst davon überzeugen sollen, dass er die Kontrolle nicht
      verloren hat. Er redet sich selbst ein, dass er "guten" Grund
      zum Sich betrinken habe und er ohne "diesen" Grund genauso
      mäßig oder überhaupt nicht wie die anderen trinken könne.
      Hier setzt der große unbewusste Selbstbetrug des Alkoholikers
      ein und damit verbunden der Betrug an seiner Umwelt.

      10. Soziale Belastungen
      Dieser Selbstbetrug ist nun beim Alkoholiker der Anfang eines
      ganzen " Erklär-Systems", das sich immer mehr auf jede
      Ebene seines Lebens ausbreitet. Dieses " System" dient
      nun auch als Widerstand gegen die " sozialen Belastungen", die zusammen mit dem " Kontrollverlust" entstehen. Seine Trink-Art fällt unterdessen auch der Umwelt auf. Angehörige, Freunde, Kollegen und Arbeitgeber beginnen, den Alkoholiker zu tadeln oder zu warnen.

      11. Obergroße Selbstsicherheit
      Auf das Verhalten der Umwelt •reagiert der Alkoholiker mit
      " übergroßer Selbstsicherheit" nach außen, obwohl bei ihm
      selbst ein deutlicher Verlust an Selbstachtung einsetzt. Er
      versucht, diesen Verlust durch Extravaganz und Großspurigkeit
      zu kompensieren, um sich selber davon zu überzeugen,
      dass er noch nicht so schlecht dran ist, wie er manchmal
      gedacht habe.

      12. Auffällig aggressives Benehmen
      (die anderen sind schuld)
      Durch sein " Erklär-System" isoliert sich der Alkoholiker in
      zunehmendem Maß von seiner Umwelt, die in seinen Augen
      an allem schuld ist. Auf dieses angebliche " Schuldsein" der
      Umwelt reagiert er dann mit auffällig aggressivem Benehmen.

      13. Innere Zerknirschung, dauerndes Schuldgefühl
      (Anlass zum erneuten Trinken)
      Das auffällige Verhalten des Alkoholikers gegenüber seiner
      Umwelt reflektiert auf ihn selbst und ruft nun auch in ihm
      Schuldgefühle hervor, die zur inneren Zerknirschung führen.
      Diese Zerknirschung sucht er erneut mit Alkohol zu überspielen,
      und so setzt der circulus vitiosus (Teufelskreis) ein.

      14. Perioden völliger Abstinenz
      Bisweilen gelingt es dem Alkoholiker, diesen "circulus vitiosus"
      zu durchbrechen, indem er Perioden völliger Abstinenz
      durchläuft. Dabei folgt er dann auch dem zunehmenden sozialen Druck.



      15. Änderung des Trinksystems
      Die abstinenten Perioden führen jedoch wieder zum Rückfall, da er seinem Grundübel, dem " Selbstbetrug", nicht begegnet
      und daher dem ständigen inneren Druck nicht standhält. Aus diesem "Selbstbetrug" heraus ändert der Alkoholiker
      jetzt sogar sein Trinksystem, indem er sich selber " Regeln" aufstellt, so z.B. nicht vor einer bestimmten Tageszeit
      zu trinken oder nur an bestimmten Orten, oder nur diese und
      jene Art und Menge Alkohol zu trinken, usw.

      16. Fallenlassen von Freunden
      (Feindseligkeit gegen die Umwelt)
      Die Umwelt erkennt natürlich die Änderung der Verhaltensweise des Alkoholikers•, ' entlarvt ihn ob seiner " scheinbaren" Abstinenz und durchschaut die Änderung seines "Trinksystems". Darauf reagiert der Alkoholiker mit Feindseligkeit und lässt seine Freunde fallen.

      17. Verlassen oder Wechseln des Arbeitsplatzes
      Das Verlassen oder Wechseln des Arbeitsplatzes ist nur eine Konsequenz aus seinem feindseligen Verhalten gegenüber der Umwelt. Freunde und Bekannte lassen den Alkoholiker fallen, oft verliert er auch den Arbeitsplatz. In vielen Fällen übernimmt er auch in dieser Richtung selber die Initiative als vorausschauende Verteidigung und zum Sich Entziehen unliebsamer Tadel und Mahnungen.

      18. Konzentrierung des Benehmens auf Alkohol
      Da sich der Alkoholiker immer mehr verlassen sieht, konzentriert er sich im verstärkten Maß auf den Alkohol als
      " Medizin und Seelentröster".

      19. Verlust an äußeren Interessen
      Der Alkoholiker denkt darüber nach, wie eine bestimmte Arbeit sein Trinken stören könnte (statt umgekehrt) und lehnt
      alle Interessen ab, die ihn daran hindern können,


      20. Neuauslegung mitmenschlicher Beziehungen
      Im Alkoholiker verstärkt sich zunehmend das Gefühl, dass
      die Umwelt an seinem Fehlverhalten schuld sei. Dieses Gefühl ruft in ihm eine immer stärker werdende Anspruchshaltung hervor, aus der heraus er nur noch den Wert oder Unwert seiner mitmenschlichen Beziehungen bemisst.

      21. Auffallendes Selbstmitleid
      Diese Auslegung seiner mitmenschlichen Beziehungen ist
      mit einem auffallenden Selbstmitleid verbunden. Er kann
      doch nichts dafür, die anderen wollen ihm doch immer etwas!

      22. Gedankliche oder tatsächliche Flucht
      Sein " Erklär-System", seine " Isolation" und sein " Selbstmit•
      leid" haben jetzt derartige Formen angenommen, dass der
      Alkoholiker versucht, sich den daraus entstandenen Problemen durch gedankliche Flucht (sich selber etwas vorgaukeln und gedanklich in eine bessere Atmosphäre versetzen)
      oder tatsächliche (geographische) Flucht zu entziehen.

      23. Änderungen im Familienleben
      Unter dem Eindruck dieser Vorfälle tritt eine Änderung im
      Familienleben ein. Nicht nur der Alkoholiker hat sich zunehmend isoliert, sondern auch seine Familienangehörigen ziehen sich zunehmend von ihm zurück. Auch entwickeln sie
      eine ausgiebige Betriebsamkeit, um dadurch der häuslichen Umgebung zu entkommen.

      24. Grundloser Unwillen
      Der Alkoholiker selbst lebt jetzt in einem anhaltenden Spannungszustand, der oft bei ihm grundlosen Unwille auslöst.

      25. Sichern des Alkoholvorrats
      Das vorherrschende Interesse an Alkohol veranlasst den Alkoholiker, sich seinen " Alkoholvorrat" immer zu sichern,
      wobei er auch dazu übergeht, ihn zu verstecken.



      26. Vernachlässigung angemessener Ernährung
      Sowohl das " Sichern des Alkoholvorrats" als auch die ersten Auswirkungen auf den Organismus durch das ständige Trinken (Appetitlosigkeit) bringen den Alkoholiker dazu, seine Ernährung zu vernachlässigen bzw. sich völlig einseitig zu ernähren (Kotelett, Frikadellen, Würstchen, Brühen usw.- Vitaminmangel).

      27. Erste Krankenhauseinweisung wegen alkoholischer Beschwerden
      Die ersten organischen Schäden werden akut (Gastritis, Leberschäden, neurotische Störungen), stationäre Behandlung
      wird erforderlich.

      28. Abnahme des Sexualtriebes
      Während sich zu Beginn der Trinkerzeit eine erhöhte Potenz
      bemerkbar machte und an die Ehefrau oft unzumutbare Forderungen gestellt wurden, zeigt sich jetzt eine zunehmende
      Impotenz des Alkoholikers.

      29. Alkoholische Eifersucht
      Auf Grund der eigenen zunehmenden Impotenz steigert sich
      beim Alkoholiker die Feindschaft gegen seine Ehefrau. Er unterstellt ihr außerehelicher Geschlechtsverkehr und verfällt dadurch in die "alkoholische Eifersucht". Reaktionen seiner Ehefrau auf sein Fehlverhalten werden von ihm grundsätzlich missverstanden, ein anderer Mann wird dahinter vermutet.

      30. Regelmäßiges morgendliches Trinken
      In diesem Stadium haben Gewissensbisse, Unwillen, Kampf
      zwischen Alkoholverlangen und Pflichten, Verlust der
      Selbstachtung und Selbstmitleid, Zweifel und Selbsttäuschung
      den Alkoholiker so zerrüttet, dass er den Tag nicht
      beginnen kann, ohne sich nach dem Aufstehen oder noch
      vorher mit Alkohol zu beruhigen. Ja, er kann schon seine Arbeit
      ohne Alkohol nicht mehr ausführen. Durch den bisherigen
      Prozess des Alkoholismus ist die moralische und körperliche Widerstandskraft des Alkoholikers schon völlig untergraben

    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "Anfangs Phase" geschrieben. 23.09.2022

      1. Gedächtnislücken
      Plötzliches Auftreten von Erinnerungslücken - medizinisch Amnesien genannt. Sie können ohne Anzeichen von Trunkenheit auftreten. Der Trinker kann eine vernünftige Unterhaltung führen oder schwierige Arbeit leisten, ohne am
      nächsten Tag eine Erinnerung daran zu haben, wenn auch
      noch einzelne Erinnerungsfetzen bestehen. Der Alkohol
      hört praktisch auf, ein Getränk zu sein, sondern er wird als
      "Medizin" benötigt, die der Trinker braucht.

      2. Heimliches Trinken
      Aus dem Unterbewussten entwickelt sich bei dem Trinker die
      vage Vorstellung, dass er anders als andere Leute trinkt. Um
      nun nicht aufzufallen oder falsch beurteilt zu werden, sucht
      er bei Geselligkeiten Gelegenheiten zum Trinken von ein
      paar Gläsern ohne das Wissen der anderen; er trinkt "heimlich".

      3. Dauerndes Denken an Alkohol
      Ohne sich dessen bewusst zu werden, denkt der Trinker oft
      und über das normale Maß hinaus an Alkohol, ein Beweis
      für seinen erhöhten Bedarf.



      4. Gieriges Trinken
      Wegen seiner vermehrten Alkoholabhängigkeit tritt jetzt das "gierige Trinken", nämlich das hastige Herunter kippen der ersten Gläser, auf.

      5. Schuldgefühle wegen der Trink-Art
      Da der Trinker sich allmählich bewusst wird, dass sein Trinken ungewöhnlich ist, entwickeln sich bei ihm "Schuldgefühle" wegen seiner Trink-Art.

      6. Vermeiden von Anspielungen auf Alkohol
      Aus dem vorgenannten Schuldgefühl heraus beginnt der
      Trinker, bei Unterhaltungen " Anspielungen auf Alkohol" zu
      vermeiden.

      7. Häufigkeit der Gedächtnislücken
      Die Häufigkeit von Gedächtnislücken, in Verbindung mit
      dem Verhalten 2.•6., wirft den Schatten der Alkoholsucht
      voraus und sollte dem Trinker als dringende Warnung dienen.

    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "A. VORALKOHOLISCHE PHASE" geschrieben. 23.09.2022

      A. VORALKOHOLISCHE PHASE
      Gelegentliches Erleichterungstrinken
      Erhöhung der Alkoholtoleranz
      Häufiges Erleichterungstrinken
      Der erste Beginn des Konsums alkoholischer Getränke ist
      bei dem potenziellen Alkoholiker meist sozial motiviert, wie
      bei jedem anderen auch. Im Gegensatz zum durchschnittlichen
      Gesellschaftstrinker empfindet der spätere Alkoholiker
      bald eine befriedigende Erleichterung beim Trinken. Dabei
      schreibt er seine Erleichterung eher der Situation als
      dem Trinken zu, z.B. der lustigen Gesellschaft, dem Fest,
      dem Kegeln oder Skatspielen usw.; daher sucht er Gelegenheiten, in denen beiläufig getrunken wird.
      Nach einer bestimmten Zeit des Trinkens wird eine Erhöhung
      der Alkoholtoleranz festgestellt, d.h. der Trinker
      braucht eine größere Menge Alkohol als früher zur Erreichung
      des gewünschten euphorischen Stadiums. Diese Trinkmethode dauert je nach Umständen Monate
      und Jahre, sie geht vom Stadium des gelegentlichen zum häufigeren Erleichterungstrinken über.
      Im gleichen Maße fällt die Toleranz des Trinkers für seelische Belastungen in solch einem Umfang ab,
      dass er praktisch täglich Zuflucht zur alkoholischen Erleichterung nimmt. Sein Trinken erscheint jedoch weder seinen Angehörigen,
      Freunden noch ihm selbst verdächtig.

    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "das jellinek schema" geschrieben. 23.09.2022

      Das Jellinek-Schema
      Die erste und bis heute grundlegende Untersuchung über
      die Krankheit Alkoholismus stammt von dem amerikanischen Professor Dr. E.M. Jellinek.
      Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation untersuchte er mehrere Tausend
      Fallgeschichten von Alkoholikern und fasste das Ergebnis in
      einem Schema von 4 Phasen und -innerhalb dieser - 45 Stufen zusammen.
      Die Reihenfolge der 4 Phasen steht fest, wobei diese jedoch
      oft unmerklich ineinander übergehen. Hingegen bedeutet
      die Aufzählung der 45 Stufen nicht, dass der Alkoholiker diese alle durchlaufen muss oder genau in dieser Reihenfolge.
      Die Stufen sind vielmehr besonders typische Merkmale
      oder Symptome der fortschreitenden Alkoholkrankheit. Im
      Einzelfall können viele übersprungen werden oder auch fort•
      fallen; nicht erwähnte Merkmale können evtl.! Hinzukommen.
      Bildhaft lässt sich sagen: Die Stufen treffen gleich Mosaiksteinen aufeinander und zeichnen in ihrer Gesamtheit
      das Bild des Alkoholikers.
      Die bedeutungsvollste Stufe ist die 8., der Kontrollverlust.
      Hier trennt sich unwiderruflich der Alkoholiker vom ("Nur•")
      Trinker (oft verstanden als Gesellschafts-, Erleichterung
      oder Problemtrinker" ). Ab dieser Stufe kann man im engeren Sinne von einer Erkrankung sprechen;
      mit dem Kontrollverlust zeigt sich beim Alkoholiker ein Krankheitssymptom,
      dass er weder willentlich steuert noch zum Verschwinden
      bringen kann. Es gibt dann kein Zurück mehr zum "normalen
      Trinken" und keine" Heilung" der Abhängigkeit, sondern die Krankheit kann nur noch durch dauernde und vollständige
      Abstinenz zum Stehen gebracht werden.
      Spätestens vom Eintritt der Stufe 8 an ist es auch sinnlos
      und falsch, das Verhalten des Alkoholikers moralisch zu bewerten.
      Während der Trinker noch für Art und Menge des Alkoholgebrauches durchaus verantwortlich ist, verliert der
      Alkoholiker schon nach kleinsten Mengen die Herrschaft,
      die" Kontrolle" darüber, ob und wie viel er weiter trinken
      wird; es setzt eine - krankheitsbedingte - Willenslähmung
      ein, gerade bezüglich der weiteren Alkoholaufnahme,
      die dann geradezu zwanghaft und oft gegen alle guten Einsichten und Vorsätze erfolgt.
      Der "Kontrollverlust" ist nicht zu verwechseln mit der
      Erinnerungs- oder Gedächtnislücke, auch "Filmriss" oder
      "Black-out" genannt (Punkt 1 der 45 Stufen!).

    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "Fragen nach Professor Jellinek" geschrieben. 17.09.2022

      Voralkoholische Phase

      1. Trinkst Du, um Dich zu erleichtern?
      2. Nimmt Deine Toleranz bei seelischen Spannungen ab?
      3. Steigert sich Dein Alkoholkonsum allmählich, um eine bessere Wirkung zu erzielen?

      Warnphase (Vorzeichen der Erkrankung)

      1. Hast Du bereits alkoholische Gedächtnislücken?
      2. Trinkst Du heimlich?
      3. Zeigst Du Widerstand gegen Vorhaltungen?
      4. Denkst Du andauernd an Alkohol?
      5. Trinkst Du die ersten Gläser gierig?
      6. Hast Du Schuldgefühle des Trinkens wegen?
      7. Vermeidest Du Anspielungen auf Dein Trinkverhalten?
      8. Hast Du häufige Gedächtnislücken?

      Kampfphase (kritische Phase)

      1. Verlierst Du die Kontrolle bereits nach dem Beginn des Trinkens?
      2. Benutzt Du Ausreden (Alibis), warum Du trinkst?
      3. Zeigst Du Widerstand gegen Vorhaltungen, dem Trinken wegen ?
      4. Zeigst Du großspuriges Benehmen?
      5. Hast Du ein auffallendes, aggressives Benehmen?
      6. Bist Du dauerhaft zerknirscht?
      7. Nimmst Du Dir vor, einige Zeit nicht zu trinken, und das ohne Erfolg?
      8. Nimmst Du Dir vor, nicht vor oder nur an bestimmten Zeiten, zu trinken?
      9. Lässt Du wegen Deines Trinkens, Deine Freunde im Stich?
      10. Lässt Du wegen Deines Trinkens, Deine Arbeit im Stich?
      11. Konzentrierst Du Dich nur noch auf den Alkohol?
      12. Lässt Du wegen Deines Trinkens, Dein Äußeres im Stich?
      13. Hast Du durch dein Trinkverhalten Schwierigkeiten in zwischenmenschlichen Beziehungen ?
      14. Bemitleidest Du dich jeden Tag durch dein Trinken selber ?
      15. Flüchtest Du vor deiner Verantwortung gegenüüber dich oder einer anderen Person, gedanklich oder tatsächlich ?
      16. Hast Du üngünstige Veränderungen durch dein Trinkverhalten im Familienleben ?
      17. Hast Du desöfteren einen grundlosen Unwillen ?
      18. Bestrebst Du, dir ständig einen "Vorrat" an Alkohol zu sichern ?
      19. Vernachlässigst Du deine Ernährung ?
      20. Hattest Du bereits eine Einweisung ins Krankenhaus wegen körperlicher alkoholischer Beschwerden ( Die aber von dir anders gedeuted wurden ) ?
      21. Hast Du keine Lust mehr am Sex, durch das Trinken?
      22. Bist Di eifersüchtig, wenn andere trinken und Du nicht kannst oder darfst?
      23. Trinkst Du bereits morgens schon ?
      ( Beginn der Chronischen Phase )

      Chronische Phase

      1. Hast Du Verlängerte tagelange Alkoholräusche ?
      2. Hast Du einen bemerkenswerten Abbau an Ethik, Sauberkeit usw. ?
      3. Beeinträchtigt Dein Trinkverhalten, Dein gesamtes Denken ?
      4. Hast vorübergehende alkoholische Psychosen ( Wahnvorstellungen ) ?
      5. Trinkst Du mit Personen unter deinem eigenen Stand ?
      6. Trinkst du bereits ab und an Haarwasser, Brennspiritus etc. - wenn Du keinen normalen Alkohol mehr zur Verfügung hast ?
      7. Hast du keine Kontrolle mehr über deinen Alkoholkonsum ?
      8. Leidest Du unter ständigen Ängsten ?
      9. Zittern deine Hände, wenn du keinen Alkohol mehr zu dir nimmst ?
      10. Hast Du Psychomotorische Hemmungen ?
      11. Nimmt dein Trinkverhalten bereits den Charakter der Besessenheit an ?
      12. Versagt Dein Erklärungssystem,oder bist Du einer Behandlung zugänglich ?
      ( völliger geistiger, seelischer, körperlicher Zusammenbruch )

    • the Outlaw hat den Blog-Artikel "Der Zustand" geschrieben. 17.09.2022

      Der Zustand, eine hilflose Person zu sein 29.08.1977
      SPIEGEL-Reporterin Marie-Luise Scherer über den Lebensweg einer Trinkerin

      Abstieg ist zu bedächtig. Sofie Häusler ist nicht sozial abgestiegen, sondern sie machte eine Schußfahrt durch eine zielgenaue Schneise, deren Markierungen ein Saboteur hätte gesteckt haben können. Jemand, der ein Händchen hat für die dramaturgische Beschleunigung vom bösen Ende.

      Sofie Häusler ist 32 Jahre alt, als sie schicksalsmäßig auf die Abschußliste kommt. Der Mann, den sie seit vier Jahren kennt, der einmal die Woche über Nacht bleibt, dieser seine Liebschaft so sachte dosierende Typ, als fürchte er sich vor Übertreibung, ist längst verheiratet. Sofie Häusler erlebt eine ruckartige Pleite.

      Dieser Mann hatte sich ihr als Meister aller Klassen empfohlen, Hamburger Kaufmann, Im- und Export, zehn Jahre älter, eine überschüssige Natur und immer was am Planen. Für Sofie Häusler hatte er sogar noch einen Lebensentwurf übrig.

      Er begegnet ihr in einem Kunstgewerbeladen in Hannover, wo sie Geschenkartikel aus Bast herstellt. Er lieferte dort den Bast. Und er malte für Sofie Häusler die Zukunft aus. Die Sicherheiten für diese Zukunft sollen sich aus ihren handwerklichen Fähigkeiten, seinen guten Drähten und der gegenseitigen Liebe zusammensetzen.

      Sofie Häusler wurde als uneheliche Tochter einer Hausangestellten geboren. Sie war das Unglück ihrer Mutter, der Beweis für ein hastiges, zwischen Küche und Mädchenkammer runtergeknutschtes Drama mit dem Dienstherrn.

      Sie erlebte sich keinen Moment lang als geliebtes Kind, als elterlich-beschirmte Gottheit. In der Schule simulierte sie einen Vater. Bei der Mutter war die Demütigung in eine permanente Rage umgeschlagen. Und die wenigen Augenblicke, in denen die Tochter Zuversicht an den Tag legte, würgte sie ab, als müsse sie einer Enttäuschung vorbeugen: "Du kannst dich mit den anderen nicht messen."

      Ihre Abwehrkräfte verkümmern

      Auf diese Weise wird Sofie Häusler reif für einen Sieger. Sie verläßt Hannover, ihre verbittert-herrschende Mutter und folgt dem gutgelaunten Mann. In dem Dorf D. mietet sie eine Wohnung. Dort fabriziert sie Bastampeln für Blumentöpfe, die der Kaufmann an den Blumengroßhandel vertreibt. Durch die wachsende Nachfrage kann Sofie Häusler sogar ein paar Heimarbeiterinnen beschäftigen.

      Das Dorf liegt bei Hamburg, dem Wohnort ihres Liebhabers, und auf der Strecke seiner geschäftlich anzureisenden Städte.

      Es muß ein suggerierter Entschluß gewesen sein, daß sich Sofie Häusler in ein Dorf verabschiedet. Denn aus ihrem Dasein dort ergeben sich nur Vorteile für den Mann, der Familie in Hamburg hat und nicht mal einen Umweg machen muß, um seiner buchstäblich passageren Liebschaft nachzugehen. In Sofie Häuslers Leben besetzt er alle wichtigen Rollen mit sich selber: Er ist ihre Liebe, der unverzichtbare Kurier aus der Außenwelt und die maßgebliche Figur ihrer gewerblichen Existenz.


      Unter diesem Monopol, auch wenn es als ein Vorzeichen weiblichen Glücks erscheint, verkümmern Sofie Häuslers Abwehrkräfte. Während sie ihre Mutter noch als eine gefährliche Majestät erkannt hatte, der sie in Tagträumen den Rücken zukehrte, sah sie unter der wuchernden Machtausübung des Mannes keinen Anlaß, gedanklich an ihrer Wirklichkeit herumzuflicken.

      Sofie Häuslers Katastrophe kündigt sich über eine wirtschaftliche Spannung an: Die Bastampeln, ihr Standardartikel, sind kein zeitloses Zubehör, das sie auf Dauer ernähren könnte. Deshalb erweitert sie ihr Programm durch Wandbildbehänge, welche sie über den Möbeleinzelhandel abzusetzen versucht.

      In Hamburg mietet sie einen vom Gesundheitsamt gesperrten Wohnkeller als Lagerraum. Er liegt am Fischmarkt in St. Pauli und kostet monatlich 23 Mark. Sie zahlt zehn Mieten im voraus, läßt den Keller weißen und mit Balatum auslegen. Von hier aus will sie die Hamburger Geschäfte beliefern.

      Indem sie klug wird, beginnt ihr Unglück

      Zwischen dieser für Sofie Häusler ungewöhnlichen Anstrengung, ihren beruflichen Radius von 0. bis Hamburg zu verlängern, und dem Bruch mit ihrem Freund vergehen nur Tage. Sofie Häusler ist plötzlich fähig, die hinter ihr liegenden, von Liebe handelnden Jahre als Moritat zu entschlüsseln: als die Geschichte eines Handlungsreisenden, der mit der Vorsicht des perfekten Mörders seine Frau betrügt.

      Indem Sofie Häusler klug wird, beginnt ihr Unglück. Da sie Gefühle nie streuen konnte, da sie nur einer Hauptperson lebte und durch diese Ausschließlichkeit keinen Menschen hat, dem sie mit einer Klage kommen kann, betrinkt sie sich. Betrunken verläßt sie in einem Taxi das Dorf D. und fährt nach Hamburg. Dort trinkt sie weiter, Die Kneipen heißen "Blinkfeuer" und "Seemanns Einkehr". Es ist die Gegend, in der auch ihr Keller liegt.

      In diesem Keller schläft Sofie Häusler den schrecklichen Rausch aus. Zwei Tage nach ihrem Verschwinden aus D. bringt sie erst die Kraft auf, heimzufahren. Sie bleibt aber nur einen Nachmittag. Abends besteigt sie den Zug nach Hamburg und kehrt nie mehr zurück. Sie landet in dem Keller und trinkt jetzt immer mehr.

      Ihre Hauswirtin in D. bittet sie brieflich, ihr einige Dinge nachzusenden. Den übrigen Besitz überläßt sie der Frau als Gegengabe für ihre plötzliche Flucht.

      Anderthalb Jahre kann Sofie Häusler den Keller halten, obwohl die Rauschzustände immer dichter liegen und sie durch das alkoholische Fingerzittern außerstande ist zu arbeiten. Den auf Lebensminimum absinkenden Bedürfnissen folgend trägt sie ihre Werte nach deren Verzichtbarkeit ins Leihhaus: zwei Kammgarnkostüme, eine geschonte Krokotasche mit angekettetem Portemonnaie, einen Fohlenmantel, eine Jacke aus Persianerklaue, einen Silberring mit goldgefaßtem Rauchtopas, eine Anstecknadel mit Perle, dann ihren Koffer, dann die Armbanduhr.

      Nach diesem Abbau bleibt Sofie Häusler nichts mehr, um ihre Zechen zu bezahlen. Sie muß jetzt jeden Pfennig ohne Verlust in Alkohol umsetzen, keine Münze darf sich in der Verdienstspanne eines Wirtes verlieren. Deshalb kauft sie Wermut, der pro Flasche 99 Pfennig kostet, und setzt sich zu den Sprit- und Tippelbrüdern auf die Bänke.

      Klar denken kann sie erst nach ein paar Schlucken

      Sofie Häusler unterscheidet sich von ihnen nur noch durch ihr Obdach, den Keller, in den sie betrunken wegtauchen kann und aus dem sie gekämmt und gewaschen wieder auftaucht, um an Alkohol zu kommen. Sie leidet unter Entzug, der sie befähigt zu betteln. Sie fragt: "Könnten Sie mir mit Fahrgeld aushelfen?"

      Manchmal wendet sie auch einen Spruch aus dem Überlebensschatz der Tippelbrüder an und sagt: "Ich habe Kinder und brauche ein paar Gasgroschen." Denn in alten Obdachlosenasylen lassen sich Gasherde und Warmwasserboiler nur nach dem Einwurf einer Münze anzünden. Nach 15 Minuten verlischt die Flamme wieder.

      Es ist nicht Klarheit, vor der sich Sofie Häusler fürchtet, die mit abnehmendem Alkoholspiegel steigende Gewißheit, daß sie im Abgrund lebt. Klar denken kann sie erst nach ein paar Schlucken. Und was sie dann denkt, handelt nicht vom Vorsatz auszusteigen, das kreist um die Beschaffung weiterer Schlucke.

      Wenn Sofie Häusler sich ein bißchen stabil getrunken hat; wenn sie vom kreisenden Fusel der Kumpane wie durch eine Nährlösung wieder auf die Beine gestellt ist, reicht eine Mark, um ihre Existenz als Wermut-Trinkerin absehbar zu sichern. Ihre Gemütslage gründet dann auf Zuversicht. Auf die neue Flasche, in der nach jedem Zug der Sprit zurückschwappt bis zum nächsten Zug, ist Verlaß. Meistens dauert es zwei Stunden, bis nichts mehr nachfließt.

      Sofie Häuslers feste Nahrung besteht aus einem trockenen Rundstück, einem Hamburger Brötchen, das sie an harten Tagen auch zu essen vergißt.

      Die Akte der Sofie Häusler beginnt am 12. Februar 1957 mit dem polizeilichen Formblatt "Verwahrung wegen Trunkenheit". Sofie Häusler, 32 Jahre alt, ist unterhalb des Hafenkrankenhauses in Hamburg-St. Pauli hilflos aufgefunden worden. Ihre Papiere weisen sie als Kunstgewerblerin aus. Es soll das letzte Mal sein, daß die bürgerliche Existenz der Sofie Häusler noch hinter ihrer Eigenschaft als Alkoholikerin sichtbar bleibt.

      Ihre Berufsbezeichnung heißt jetzt "ohne"

      Das zweite Blatt datiert sechs Monate später: Sofie Häusler ist auf dem Gehweg Schauermannspark aufgelesen worden. "Sinnlos betrunken", lautet der getippte, im moralisierenden Zweifingerdeutsch abgefaßte Befund des Revierschreibers. Während der vierstündigen Ausnüchterung habe Sofie Häusler die Arrestzelle "durch Erbrechen gröblichst verunreinigt".

      Ihre Berufsbezeichnung heißt jetzt "ohne". Ihrem sich andeutenden Niedergang fügt der Revierbeamte in Klammern noch eine persönliche Vermutung hinzu: Prostituierte. Damit ist es heraus, das Wort, dieser für ein undeutliches Dasein klärende Begriff, mit dem sich von da an die behördlichen Vordrucke in ihren Rubrizierungsnöten behelfen. Die Quelle, aus der angeblich die Schnapsgroschen der Sofie Häusler stammen, wird eingezäunt.

      Immer schneller gerät Sofie Häusler in den Zustand, eine hilflose Person zu sein. Und immer seltener erreicht sie ihren Keller. Dafür erlebt sie das aus der Besinnungslosigkeit höllische Erwachen in den Arrestzellen der Hamburger Hafenreviere. Sie ist ein geduzter Haufen Dreck, der vor Durst zu verbrennen glaubt, der beim Trinken unter der Wasserleitung gefragt wird: "Was machst du denn da?"

      Für die Kosten dieser Aufenthalte -- fünf Mark Zellenbenutzung, eine Mark Reinigung, Aufpreis bei "Verkotung" und "Urinierung", 80 Pfennig Wolldeckengebühr -- muß Sofie Häusler in allen Fällen eine Bankrotterklärung gegenzeichnen.

      Nach eigener Schätzung ist Sofie Häusler zwanzigmal in der Ausnüchterung gewesen, bevor sie im Oktober 1959 unter vorläufige Vormundschaft gestellt wird. Den Keller, ihr Refugium mit Spiegel und Handwaschbecken, in dem sie die letzten Reserven gegen ihre äußerliche Verwahrlosung einsetzte, hat sie aufgegeben.

      Sie gehört jetzt ganz der Wermut-Gang an. Sie taumelt durch die von den Landungsbrücken zur Reeperbahn hochführenden Querstraßen. Und mitstolpernd im Touristenstrom bettelt sie um Geld, fünfzehnmal vergeblich, mit der Gewißheit, daß der sechzehnte gibt.

      Sogar auf Englisch kann sie um Mitleid stammeln

      Anwohner spricht sie nicht an. Sie unterläßt es auch bei den Untertagetypen von St. Pauli, den Kellnern, Portiers und Zuhältern. Es müssen aufgekratzte Bummler sein, auf Nepp gefaßte Ausflügler, für die ein verelendetes Weib zu den Zutaten des dichten Milieus gehört.

      Sofie Häusler kann sogar Englisch um Mitleid stammeln. Sie sagt: "I am a poor clochard myself, I would buy me a beer." Oder sie sagt: "I am cold, I want stay in a restaurant." Unter den Gebenden sind es die Afrikaner, die auch ohne in Hochstimmung zu sein, eine Mark spendieren.

      Manchmal hält Sofie Häusler drei Tage und zwei Nächte durch. Es ist kein Stehvermögen, sondern der Zwang zu überdauern ohne Bett und Adresse. Denn stundenweise ist die Erschöpfung größer als die unendlich scheinende Nachfrage nach Alkohol.

      Hin und wieder landet sie als wegsackendes Bündel im Bett eines Rentners oder eines krankgeschriebenen Weltmeisters von den Theken des Reviers. Und morgens erlebt sie üble Verabschiedungen, bevor sie wieder auf der Straße sitzt, mit einem Brand, der stärker ist als ihre Depression.

      Bei warmem Wetter schleppt sie sich hinter die Büsche beim Tropenkrankenhaus, um zu schlafen. Und sie zieht sich an den Büschen wieder hoch, wenn's hell wird. Sie ist zu kaputt, um einen Gedanken an ihre Wirkung zu verschwenden.

      Sofie Häusler steht auf keiner sozialen Stufe mehr, die zu unterbieten wäre. Sie prostituiert sich für ein Bier und einen Korn: "Wollen wir uns ein büschen liebhaben?"

      Oder sie fragt: "Bezahlst du mir ein Bier?" und der Mann erwidert: "Wie komme ich dazu? Ich zahl dir eins, wenn du rauskommst und hast mich was lieb." Sie befindet sich in einem preisbrechenden Notstand. Gemessen an dem bodenlosen Durst, paßt die Ehre, die Sofie Häusler für sich noch in Anspruch nimmt, in einen Fingerhut.

      Spitzname "Katastrophen-Sofie"

      Wegen ihrer häufigen Zusammenbrüche nennen die Kumpane sie "Katastrophen-Sofie". Sie läuft betrunken gegen einen Lieferwagen und bricht sich den Unterkiefer und beide Jochbeine. In der Klinik deutet ihr die Krankenhausfürsorgerin an, daß sie als Nutznießerin der Sozialbehörde mit einer Entziehung rechnen müsse.

      Nach ihrem letzen Exzeß als freier Mensch, der wie immer keine lustvolle Grenzüberschreitung war, sondern nur randvolle Misere, ruft ihr der Wachtmeister morgens auf die Revierpritsche rüber: "Du hast Besuch! Trinkerfürsorge."

      Zwei Amtspersonen, ein korrekter Mann und eine mütterlich-geübte Frau, legen ihr Formulare vor. Durch Sofie Häuslers Benommenheit dringt nur das Wort "Farmsen", der Name eines Pflege- und Versorgungsheimes. Farmsen ist ihr ein Begriff für Arbeitshaus.

      Einer der beiden sagt: "Würden Sie bitte unterschreiben!", was Sofie Häusler verweigert. Der Mann und seine Kollegin vom Schlage Oberschwester Sonnenschein enttarnen sich daraufhin als Verfügungsgewalten.

      Vor Sofie Häusler öffnet sich die Schiebetür eines Kombi. Die Geräuschabfolge der seitwärts wegrollenden, dann zurückschießenden und hinter ihr einklinkenden Tür wird sich für sie noch unzählbar wiederholen. Genauso wie ihr die Farbe des Autos, die graugrün-beige Dezenz des Überführungs-Fuhrparks, ein schrilles Signal werden wird.

      Frauenaufnahmeheim, Hamburg, Uferstraße: In der Geschlossenen Abteilung liegt die entzugskranke Trinkerin Sofie Häusler und erwartet ihre vorläufige Entmündigung. Nach etwa vier Tagen erhält sie den Brief, und am darauffolgenden Morgen meldet sich ihr Vormund, ein Sozialinspektor, an. Er tritt mit mehreren jüngeren Männern auf, die wahrscheinlich Berufsanfänger sind. Sofie Häusler ist Gegenstand einer Ruinenbesichtigung.

      Statt nach Farmsen wird sie zum Entzug in das Arbeitshaus Brauweiler bei Köln eingewiesen, ein ehemaliges Kloster. Das Gebäude ist ausbruchssicher. Sofie Häusler näht für ein Versandhaus Schleifen und Knöpfe von Hand an und verdient 30 Pfennig am Tag. Nach knapp einem Jahr, im Sommer 1960, wird sie ins Versorgungsheim Farmsen in Hamburg entlassen.

      Die Genugtuung der Nüchternheit bleibt aus

      Über Alkoholismus hat sie im Nähsaal nicht mehr erfahren, als daß alles, was man übertreibt, von Übel ist. Sie nimmt sich vor, nicht mehr zu übertreiben; sie glaubt, sie habe ihren Eichstrich wieder. Beim ersten Sonntagsurlaub von der Anstalt, der in der Stehbierhalle "Lehmitz" auf der Reeperbahn mit ein paar Stimmungsschnäpsen beginnt, bleibt sie schon weg. Mit ihren neuen körperlichen Reserven hält sie sich fast acht Wochen, bevor sie in die polizeiliche Ausnüchterung gerät.

      Als flüchtiges Mündel ist sie aktenkundig. Daher genügt ein Anruf, und der Zuführ-Kombi steht vor dem Revier. Die sich anschließenden und über Jahre immer gleichen Prozeduren in ihrer Reihenfolge: Von der Ausnüchterung in die Geschlossene der Uferstraße, danach Untersuchung beim Gesundheitsamt auf Geschlechtskrankheiten, danach Rückführung.

      Im Oktober 1961 endet Sofie Häuslers vorläufige Entmündigung. Ah jetzt steht sie unabsehbar unter Vormundschaft. Sie arbeitet für 35 Pfennig täglich am Tümmler, der Trockenschleuder im Waschhaus, in dem für alle Altersheime der Hamburger Sozialbehörde gewaschen wird. Das Geld geht drauf für Zigaretten, dem anstaltsgemäßen Gift. Mit Unterbrechungen verbringt Sofie Häusler 14 Jahre in Farmsen.

      Die Zukunft, die sich ihr in der Anstalt abzeichnet, ergibt für sie nicht mehr Sinn als die narkotisierenden Episoden mit der Flasche. Sie gilt als Läuferin. Sie entwischt nicht, weil sie körperlich Durst hat, vielmehr wegen einer plötzlich auftauchenden Spannung.

      Auch wenn sie sechs, sogar neun Monate ohne Zwischenfälle schafft, empfindet sie keine zufriedene Alkohollosigkeit. Es ist nur absolviertes Wohlverhalten ohne Siegesgewißheit. Bei Sofie Häusler stellt sich die schöne Nebenwirkung der Abstinenz, die vor Genugtuung besoffen machende Nüchternheit, nicht ein.

      Durch solche Phasen langer Trockenheit bewährt sich Sofie Häusler dreimal für den Umzug in ein Wohnheim, in eine milder überwachte Lebensform. Damit verbunden sind Arbeitsversuche. Sie meldet sich schriftlich auf Annoncen, um Zusagen dann doch nicht wahrzunehmen. Oder sie macht sich, einer äußeren Vernunft folgend, auf den Weg zu ihrer zukünftigen Arbeitsstelle und kommt dort nicht an.

      Ein Grog kann jetzt nicht schaden, glaubt sie

      Sie ist sicher, keine Kraft zu haben. Sie trinkt unterwegs und erfüllt sich ihre Prophezeiung. Einmal steht Sofie Häusler einen Tag an der Heißmangel einer Ladenwäscherei. Ihre Unterkunft ist diesmal ein bereitgestelltes Zimmer über dem Laden. Es ist Februar. Der Wäschereibesitzer sagt ihr abends, sie könne sich fürs erste eine Tüte Briketts bei den Nachbarn besorgen.

      Nach Ladenschluß im kalten Zimmer sitzend, verwandelt Sofie Häusler sich gedanklich in einen Normalverbraucher. Das tut sie jedesmal, wenn sie ihr Kapitulieren vor sich selber tarnen will: Ihr ist kalt. Sie glaubt, daß jetzt ein Grog nicht schaden kann. Sie verläßt das Haus, kehrt in die nächste Kneipe ein und trinkt mit dem Vorsatz, danach die Briketts zu beschaffen, einen Grog.

      Noch hofft sie auf die Balance zwischen der Aufpasserin und der Trinkerin, den beiden Hälften, aus denen sich ihre Person zusammensetzt. Und wie immer wird die Aufpasserin in ihr nach dem ersten Glas zugänglich für weitere Gläser.

      Der im Februar kalte Ofen in einem Zimmer, das keinen Anschluß zu anderen bewohnten Zimmern hat, steht für alle Freiheitsbedingungen, unter denen Sofie Häusler scheitert. Sie wechselt aus Heimgemeinschaften von einer Stunde zur anderen in totale Einsamkeit. Sie wird privaten Rettern zugewiesen, die sich durch ein unbehaustes Mündel aus der eigenen Vereinsamung retten wollen. Es sind in allen Fällen selber ertrinkende Retter.

      In einem Hamburger Etagen-Palais heißt eine fünfzigjährige Witwe die siebenunddreißigjährige, auf Bewährung geschickte Alkoholikerin mit Champagner willkommen. Sofie Häusler, die im Bewußtsein ihrer eigenen Pleiten jedem, nur nicht sich selber den Willen zur Vernunft abnimmt, greift nach der zweiten Aufforderung zu.

      Trinkend gerät sie schnell in eine Stimmung, in der sie die intensive aber kurzlebige Wirkung eines Feuerwerkskörpers erreicht. Die sich ebenfalls betrinkende Witwe lacht wie gekitzelt, um dann im Sessel in Schlaf wegzukippen. Zu diesem Zeitpunkt befindet Sofie Häusler sich in einer Fahrrinne, die sie vor lauter Strömung nicht mehr verlassen kann.

      Nach ihr kräht kein Hahn

      Sie trinkt den Eisschrank leer. Als ihre Retterin wach wird, liegt Sofie Häusler mehr tot als benommen unter dem Küchentisch. Die verkaterte Bewährungshelferin geht telephonierend den Instanzenweg. Sofie Häusler verschwindet nach Farmsen.

      Von 1968 an wird Alkoholismus durch Richterspruch den Krankheiten zugerechnet. Die Elendsalkoholikerin Sofie Häusler erlebt in Farmsen den Unterschied zwischen sich und den auf Krankenschein überwiesenen Wohlstandsalkoholikerinnen. Körperlich ist der Unterschied geringfügig: Es sind Frauen, die in einem sehr kranken Entzugsstadium mit Zittern, Weinen und Unruhe ankommen.

      Aber für Sofie Häusler zählt, daß sie Hinterland haben, Familie, einen Mann, der an diesen Aufenthalt Hoffnung knüpft, der sich vor seinem angedrohten Absprung noch einmal auf ein Besserungsvorhaben einläßt. Für Sofie Häusler handelt es sich bei denen um ein kleineres Übel. Sie unterschätzt die Misere, auf die es einen Kassenschein gibt. Denn nach ihr kräht kein Hahn. Sie gehört zu den im Waschhaus verheizten Dauerfällen.

      Die Verfügung, die den Trinker zum Patienten macht, ändert für Sofie Häusler nichts. Dafür sorgt vor allem das Anstaltspersonal. Es sperrt sich, umzudenken und auf eine als haltlos und charakterschwach geltende Spezies über Nacht einen Krankheitsbegriff anzuwenden. Sofie Häusler bleibt eine arbeitsscheue Flitzerin zwischen Kontoristinnen in ungekündigter Stellung, eine gifttrainierte Ratte, Eigentum der Sozialbehörde, firm im verunglimpfenden Wortschatz für die eigene Not.

      Sie reagiert empfindlich gegenüber den Frauen, die über Rätselheften sitzen und miteinander Skat spielen. jede, glaubt sie, möbele sich vor vernichteten Personen wie ihr zur Chefsekretärin auf, die mal kurz unpäßlich wurde vom Cocktailsuff.

      Aber auch solche sozialen Übergrößen schlucken das unverbotene, schwachprozentige Malzbier literweise, weil sie, wie Sofie Häusler sagt, das Eisen kühlen müssen; weil sie Taschenflaschen auf der Toilette kippen und abends nervliche Zuflucht suchen nach einem nichtbestandenen Tag; weil sie einen Flattermann, einen "grobschlächtigen Tremor", zu verbergen haben und ihre Hände erst nach vier Flaschen Malzbier nicht mehr zittern. Es ist das stabilisierende Quantum, in Sofie Häuslers Kreisen der Klapperschluck. Und mit der Steigerung dieses Quantums steigert sich auch die Ruhe. Der Trinkende klappert sich aus.

      An einem Sommerabend will sie Schluß machen

      Es gibt viele Schwachstellen bei den Paradiesvögeln, wie Sofie Häusler die Kurpatientinnen nennt. Sie nimmt das nicht zum Anlaß, sich zu recken, aber es verkleinert ihre Einsamkeit als Null. "Reell kranke" Alkoholikerinnen bitten an Urlaubstagen das scheinbar durch nichts zu erschütternde Mündel mit nach Hause. Eine sagt: "Menschenskind, Sofie, ich bin eine alleinstehende Schnapsdrossel, du kannst dir denken, wie meine Bude aussieht."

      Bis dahin hat die Stadtstreicherin Sofie Häusler keinen Schimmer davon, wie eine Bude aussehen kann: Die Badewanne ist bis oben voll mit Wäsche, die in einem Jauchewasser schwimmt. Vor der Hausbar, dem geplünderten Altärchen, liegen die Flaschen; der begossene Teppich ist steif, als sei er gefroren; umgestoßene Aschenbecher; auf dem Kommodenrand und der Tischkante kleben sengend verglimmte Kippen.

      Diesen Anblick einer Wohnung hat Sofie Häusler nie gehabt. Sie denkt: "So ist es nun wirklich!" und packt dabei zu. Sofie Häusler, das verabschiedete, unrentable Element mit den vom Waschhaus weich-plissierten Fingern stützt eine vollwertige, noch einen sozialen Stellenwert markierende Person. Die Frau sagt: "Sofie, wenn ich jetzt allein wär in dem Dreck, würd' ich saufen."

      An einem Sommerabend, sie hat sich mal wieder abgesetzt, beschließt Sofie Häusler, Schluß zu machen. Durch einen mittleren Rausch findet sie gleichzeitig den Augenblick erträglich und ihre Zukunft unerträglich. Sie denkt: Am besten in die Elbe, nur Reinspringen ist schlecht. Sie möchte irgendwie bequem sterben, ein bißchen auch mit höherer Gewalt. Die Kombination, glaubt Sofie Häusler, könne ihr bei großer Betrunkenheit glücken, indem sie. auf einem Poller sitzend, besinnungslos abrutscht.

      Den nötigen Sprit muß sie noch zusammenbetteln. Sie geht die Reeperbahn zweimal rauf und runter und macht den Zigarettentest. Je nach der Selbstverständlichkeit, mit der ihr jemand eine Zigarette gibt, steigert sie ihre Bitte: "Sie sind ja sehr freundlich", sagt sie, "würden Sie mir denn auch Feuer geben?" Sich die Zigarette anzündend, sagt sie dann weiter: "Ach, beinahe bin ich geneigt, das heißt ihre Nettigkeit bringt mich auf die Idee, Sie noch um eine Mark zu bitten."

      Austrinken und dann in die Elbe

      Oft kriegt sie gleich die Mark. Und Typen, die vor dem Geben noch wissen wollen, wozu sie die Mark denn brauche, für die hat Sofie Häusler einen Instinkt. Sie sagt: "Was soll ich schon wollen, ich will genau noch einen trinken wie du."

      Sofie Häusler besitzt acht Mark und kauft bei Henning, der Tag und Nacht geöffneten Schnapsbudike auf St. Pauli, drei Flaschen Wermut zum Nachtpreis von je eine Mark zehn, außerdem zwei Schachteln Zigaretten. Sie trägt einen Wettermantel und klemmt die Flaschen unter die Achseln, was unbequem, aber weniger auffällig ist als eine Plastiktüte, in der es klappert und die zu den verräterischen Gepäckstücken entwichener Trinker zählt.

      Vor der Viehbrücke am Hamburger Fischmarkt setzt sich Sofie Häusler auf einen Eisenpoller. Ihre Absicht ist, zumindest zwei Flaschen langsam auszutrinken und bei jenem alkoholischen Schweregrad, bei dem sie sonst von Stühlen und Bänken zur Seite fällt, sich in die Elbe gleiten zu lassen.

      Die Schuhe und ihre Papiere wirft sie sofort ins Wasser. Sie tut es, wie jemand ein nicht mehr zu löschendes Machtwort spricht. Sie macht große, auf Wirkung bedachte Schlucke und raucht Kette. Sie kommt auch in den Rausch, der sie bei der kleinsten Korrektur ihrer Sitzweise ins Stürzen geraten ließe. Aber sie bleibt reglos sitzen und sagt sich: "Du hast ja noch so viel Zeit, wenigstens bis die ersten zur Arbeit gehn."

      Sie nimmt einen massenweisen Verkehr auf der Elbe wahr, große Schifffahrt noch und noch. Ein oder zwei Dampfer fahren vorüber, und Sofie Häusler sieht zehn, wenn nicht zwanzig. Ein Riesenleben, ein enormes Schauspiel, das manchmal nur von den Positionslampen eines Schleppers dargestellt wird. Sofie Häusler denkt: Wie kommen die Leute dazu, jetzt in der Kneipe zu sitzen, wo hier draußen soviel los ist?

      Ihr entgeht der Wechsel von Dunkel auf Tag. Sie sieht ein Boot anflitzen, das im Morgengrauen wie Silber glitzert. Sie sagt sich: "Mensch, so was Tolles, nu guck mal bloß!" Es ist die Wasserschutzpolizei. Einer von der Besatzung wirft eine Leiter zu ihr rüber, "so 'ne Leichtmetallgeschichte". Und elegant wie ein Hochseilartist springt dieser in drei Sätzen an Land.

      Ein Polizist wirft sie über die Schulter

      Sofie Häusler sitzt besoffen immer noch in einer Loge, aus der sie die Wirklichkeit als Märchen erlebt. Sie findet den Polizisten schön, gute Figur. Aber der sagt: "Nun verschwinden Sie hier, wir haben Sie lange durchs Fernrohr beobachtet!"

      Jetzt, wo sie versucht, sich aufzurichten, hätte sie ins Wasser rutschen können. Doch der Uniformierte, ihr gebügelter, mit blanken Knöpfen strotzender Prinz, wirft sie über die Schulter und trägt sie in die Barkasse. Sofie Häusler kauert barfuß in der Silbergondel und stellt sich den Neid der Paradiesvögel in Farmsen vor.

      Mitte Juni 1975 kauft sich die flüchtige Sofie Häusler für ihre letzte Mark ein U-Bahn-Ticket und erreicht das Frauenaufnahmeheim in der Hamburger Uferstraße aus eigener Kraft. Sie hat ihrer totenähnlichen Erschöpfung, ihrem Status als hilflose Person zuvorkommen können. Knapp geschätzt ist es das sechzigste Mal, daß die inzwischen 50 Jahre alte Rückfalltrinkerin dort erscheint.

      Obwohl "die Häusler" zum Stamm der regelmäßig auftauchenden Armseligen zählt, ist "die Häusler" kein schwachköpfiges, alkoholisch verblödetes Faktotum. Ihre Abnormität besteht aus ihrer Intelligenz, aus einer geschärften Empfindlichkeit, aus einem präzisen Bewußtsein ihres Versagens, das sie in stechenden Worten artikulieren kann. Die seit fast 20 Jahren maßlos trinkende Sofie Häusler ist eine Irritation für die statistische Erwartung.

      Im Heim Uferstraße, das eine Anlaufadresse im kurzgeschlossenen Fahndungsnetz zwischen Polizei und Sozialbehörde ist, erfährt Sofie Häusler von ihrer geplanten Einweisung in die Ricklinger Anstalten, einem der Inneren Mission Schleswig-Holsteins unterstehenden Psychiatrischen Krankenhaus. Der Tag der Überführung, 20. Oktober 1975, steht schon fest. Es ist wahrscheinlich, daß es sich um einen geschwätzig getarnten Wink gehandelt hat, den Sofie Häusler sofort versteht.

      Sie verläßt das Heim mit fünf Mark in der Tasche und setzt sich zum Hauptbahnhof ab. Im treffsicheren Erkennen ihresgleichen spricht sie einen Tippelbruder an, der einen Rucksack und eine verschnürte Zeltplane trägt. Sofie Häusler bittet, mit ihm ziehen zu dürfen. Begünstigt durch das Sommerwetter, sehen beide nicht bedürftig aus.

      Freddy genießt ihre Abhängigkeit

      Sie nehmen den Zug bis Aumühle. Von dort schlagen sie sich als "fröhliche Wandervögel" erst in die Bismarckschen Wälder. Der Mann heißt Freddy und kennt alle Lichtungen und abgeschirmten Wiesenstücke bis rauf nach Husum; ebenso die Pastorate, bei denen er jedes Jahr um Arbeit klingelt.

      In jenem Sommer harkt und jätet auch Sofie Häusler in den Pastoren- und Friedhofsgärten und verdient bis zu 20 Mark am Tag. Sie schläft mit in Freddys kleinem Spitzzelt und wäscht sich in den Bächen und Kuhtränken. Freddy ist fünfzig wie sie. Obwohl er ihr nie furchterregend kommt, auch nicht sexuell, genießt er ihre Abhängigkeit.

      Sofie Häusler glaubt, ohne alle Vermessenheit, daß der Mann an einem "primitiven Starrsinn" leidet. Doch sie sagt sich, im Kopf die Ricklinger Anstalten, in denen schon ein Bett für sie verplant ist: Besser einen Kranken als die vielen. Sie setzt auf Freddys Beziehungen zu den frommen Leuten; sie nährt noch eine Spur Hoffnung auf Seßhaftigkeit; sie will der psychiatrischen Verwahrung entgehen.

      Hundertmal verspricht Freddy, der von Sofie Häusler nicht lassen will, der sie hartnäckig seinem Besitz zurechnet, eine Bleibe zu beschaffen. Doch Sofie Häusler ist inzwischen satt vom Wandern und versteckten Kampieren, von den barmherzig spendierten Suppen der Pastoren. Sie weiß, daß Freddy den Winter über vorm Hamburger Männerschlafheim Pik As anstehen wird, während sie ein Karussell mit Geisteskranken besteigen muß.

      In den letzten Septembertagen endet für sie diese Reise. Sie kehrt mit braungebrannten Beinen in die Uferstraße zurück, wo sie wartet, bis der Kombi sie holt.

      Er fährt auf den Tag genau vor. In einer halbgeschlossenen Abteilung der Ricklinger Anstalten teilt sich Sofie Häusler ihren Nachttisch wie eine Wohnung auf. In dem zum Flur hin offenen Zimmer stehen acht Betten, an deren Kopfenden Puppen und sich umarmende Stofftiere Liebesnester bilden.

      Pfennig-Prostitution vor der Tür

      Die ersten drei Wochen sitzt Sofie Häusler nur rauchend im Tagesraum und guckt aus dem Fenster. Oder sie läßt sich aussperren und geht für eine Zigarettenlänge vor der Anstalt spazieren, wo ihr andere rauchende Frauen begegnen. In der Dämmerung hält hin und wieder ein Auto, dessen Fahrer eine dieser Frauen auf Liebe hin anspricht.

      Meistens sind es Jungbauern, die eine heimatlose Erektion durch eine Schwachsinnige erlösen lassen. Der Gegenwert ist ein Päckchen Lux oder Lord. Wenn Sofie Häusler so ein Auto im Schleichgang anfahren hört, schreit sie: "Fahr nach Hamburg, wo's was kostet!"

      Die Pfennig-Prostitution vor der Tür wird geduldet. Sie soll Sexualität binden, das lesbische Ausarten hinter der Tür, "das Brüsteküssen mit Handbefriedigung", wie Sofie Häusler den Vorgang in eine halbbürokratische Formel bringt. In ihrem ersten Ricklinger Winter finden jeden Abend beim Schichtwechsel der Schwestern solche Szenen statt. Immer vor dem Fernsehgerät, weil es wie eine Arena einen schützenden Wall aus Zuschauern hat.

      Sofie Häusler mutet sich Fernsehen nicht zu. Denn alle unterliegen einem Redezwang. Jeder läßt die eigene Lautstärke anschwellen. Zwanzig und mehr geisteskranke Frauen kommentieren nicht nur die Bilder, sondern auch ihre derzeitige Verfassung.

      Es ist ein akustisches Chaos, an dessen Unerträglichkeit nur noch die schlaffen Geräusche des Tages heranreichen, wenn zehn von den 56 Kranken der Abteilung endlos den Gang rauf und runter gehen; wenn etwa 15 hin- und herschwingend auf den Stühlen des Tagesraumes sitzen und das Taschentuch von der rechten unter die linke Achselhöhle stecken.

      Sofie Häusler fühlt sich durch alles, was Rickling ist, behelligt. Aber ganz ohne Hochmut, mit aller Geduld für Adolf Hitlers Tochter im Nebenbett, für die intelligenzschwache Tischnachbarin, der sie eine falsch begonnene Apfelsine schält und an Weihnachten die Gänsekeule mit dem Teller aufzufangen hilft, als diese mit einer widerwärtigen Haut aus dem erhitzten Plastikbeutel rutscht.

      Die grausame Angst, unter die Geisteskranken zu fallen

      Zweimal geht Sofie Häusler unter der Kraft eines "Leibwächters" zu Boden. Das sind robuste Kranke, die Griffe beherrschen, wenn gespritzt werden soll. Die "Leibwächter" sorgen für Ordnung in der Etage. Sie geben sich Wichtigkeit, indem sie Mitpatienten waschen und schlagend Zigaretten-Schulden für andere eintreiben.

      Neben ihnen gibt es noch das Ordnungselement der "scheintoten Spitzel", wie Sofie Häusler den Typus nennt, der Patienten verrät, wenn diese statt in der Teeküche im Badezimmer heißes Wasser für den Pulverkaffee abzapfen.

      Nach der dritten Woche wird Sofie Häusler die Beschäftigungstherapie angeboten. Sie kann einen halben Meter Heftpflaster dreimal falten und einpacken oder Luftballons in Tüten einzählen. Sie dürfe sich aber auch selber etwas einfallen lassen für den Weihnachtsbasar der Anstalten.

      Das Mündel Häusler hat eine grausame Angst, unter die Geisteskranken zu fallen. Sie glaubt, daß man ihr "einen Korsakow" anhängen will, die frühe Vergreisung, die verlangsamten Bewegungsabläufe des Alkoholzerstörten. Sie verlangt Silberdraht und Holzperlen für Modeschmuck. Sie ist motiviert wie nie, sich zu beweisen.

      Dennoch merkt sie am Verhalten der Schwestern, daß ihre Person schon so abgebucht ist wie die der anderen. Als der Draht und die Perlen ihr erst nicht ausgehändigt werden und sie danach fragt, sagen die Schwestern immer: "Ja, ja, Sofiel" Als Sofie Häusler den Anstaltspsychologen fragt, wie lange sie bleiben müsse, antwortet der: "Das kommt ganz auf Ihr Verhalten an."

      Nach Weihnachten, Sofie Häusler hat nach Kräften den Basar beliefert, zeigt sie die gesundeste Verhaltensweise, zu der sie fähig ist: Sie bleibt weg von einem Spaziergang und besteigt mit dem Rest ihrer Arbeitsprämie von monatlich 60 Mark den Zug nach Hamburg. Trinkend erreicht sie dort den Punkt, daß die Tatsache, flüchtig zu sein, sich ihr als Freiheit darstellt. Diese Freiheit dauert wie immer drei Tage und zwei Nächte.

      Im Februar 1977 bestätigt der "Landesverein für Innere Mission Schleswig-Holstein" schriftlich, daß Sofie Häusler "für einen Entlassungsversuch nach Hamburg rückgegliedert werden soll". Dieser Brief ist das 1188. Blatt in der fünfbändigen Akte "Häusler, Sofie" bei der Hamburger Trinkerfürsorge. Vorausgegangen ist ein Jahr, in dem die Alkoholikerin Häusler nicht aus Wohlverhalten trocken blieb, sondern weil ihr jemand geholfen hat, an sich zu glauben. Sofie Häusler, überempfindlich gegen zu deutlich auftretende Retter, gegen das matte Hinhören der Therapeuten, die das Saufen auf den Begriff der "vergifteten Muttermilch" bringen, begegnete in Rickling einem jungen Sozialarbeiter.

      "Du hast mir genug aufs Herz getreten"

      Der hatte die Zuversicht eines Anfängers und lehrte die aufgegebene Trinkerin, zu entspannen. Sofie Häusler lernte, ziehende Wolken zu sehen, auch wenn gar keine vorüberzogen. Sie konnte sich in eine Ruhe steigern, in der sie sich fragte: Was soll das ganze Miesmachen? Zusammen mit dem Sozialarbeiter verfaßte sie eine Geschichte, in der die trockene Sofie Häusler ein armes Luder gleichen Namens in einer Hafenkneipe beobachtet.

      Montags besteigt die wirkliche Sofie Häusler den Bus in Rickling und fährt zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker in Neumünster. Sie fühlt sich zum erstenmal in ihrem Leben unbeirrbar, ja fast unabhängig. Von ihren ersparten Arbeitsprämien kauft Sofie Häusler eine elektrische Nähmaschine, mit der sie als Flickschneiderin eine Existenz außerhalb der Anstalten begründen will.

      Ende Februar wird Sofie Häusler von Rickling in die Hamburger Uferstraße entlassen. Sie ist seit einem Jahr trocken. Eine Fürsorgerin steht ihr bei der Wohnungssuche bei. Den vergilbten, in den Grabkammern der Trinkerfürsorge lagernden Teil vom Aktenstapel "Häusler, Sofie" kennt diese Frau gar nicht. Sie ist neu in der Alkoholiker-Hilfe und beeilt sich.

      Ende März fährt Sofie Häusler vom Zentralen Omnibusbahnhof mit dem verbilligten Besucherbus zu den Ricklinger Anstalten, um ihren Besitz abzuholen, vor allem ihre Nähmaschine. Weil Sonntag ist und der Überführungskombi erst ab Montag Dienst hat, übernachtet sie in ihrem angestammten Bett. Am nächsten Morgen besteht das Mündel Häusler seinen vorläufig letzten Kampf gegen die Befugten.

      Nachdem sie ihre Sachen in dem Auto verstaut hat, fragt eine Pflegerin den Fahrer: "Und wo ist jetzt noch Platz für mich?" Es ist eine der von Sofie Häusler mit "Quasi-Schwestern" benannten Kittelfiguren, die mit der Trillerpfeife regiert und "wenn sie dort nicht arbeiten würde, dort Patientin wäre, eine, die mit dem Püscher wackelt, wenn ein Psychologe auf dem Flur ist, und dann auch mal eine Kranke streichelt".

      Sofie Häusler schreit: "Mach mich nicht an, du hast mir genug aufs Herz getreten, entweder fährst du oder ich."

      Und einlenkend sagt sie: "Und schon gar nicht sitzt du mit dem Kittel da vorne!" Sie ist entschlossen, auch zurück den Bus zu nehmen und ihre Sachen dazulassen. Denn sie hat mehr zu verlieren. Sie darf nicht mit einer Frau in Samariterkleidung, der ohnehin nur nach einer Stadtfahrt ist, vor ihrer neuen Wohnung auspacken.

      Sofie Häusler siegt. Vor dem Mietshaus in Hamburg-Fuhlsbüttel kommen ihr Kinder auf Rollschuhen entgegengefahren und fragen: "Ziehst du bei uns ein?" Sofie Häusler sagt "ja" und kann das Glück nicht fassen

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the Outlaw
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